Der Chemnitzer Musikverein trauert

um seine Vorsitzende Gerlinde Schilling

und um sein so hochengagiertes Mitglied Gerhard Albert Jahn

und mit ihm der Städtische Musikverein zu Düsseldorf

 Ein Beitrag von Georg Lauer vom Städtischen Musikverein zu Düsseldorf                                                                                                                                          

Noch am Neujahrstag 2021 feierte - wie wir hörten - die Vorsitzende des Chemnitzer Musikvereins Gerlinde Schilling in ihrer Wohnung im schönen Chemnitzer Stadtteil Kaßberg ihren 83. Geburtstag und nahm telefonisch die herzlichen Glückwünsche vieler Mitglieder entgegen. Ihr plötzlicher Tod am 6. Januar riss sie aus einem Leben, das sie ganz ihrer Leidenschaft für Kunst im Großen-Ganzen und der Musik im Täglich-Besonderen gewidmet hatte.

Nur drei Wochen später erlag in einer Chemnitzer Klinik, ebenfalls im 83. Lebensjahr, ein weiteres für den Verein äußerst engagiertes Mitglied seiner schweren Krebserkrankung: Gerhard Albert Jahn, Lehrer, Zauberer, Autor und Forscher, wie die Freie Presse ihn in ihrer Bekanntgabe vom 11.2. charakterisierte.

Jahns Forschungsdrang führte ihn 2011 u.a. auf die Internet-Chronikseiten des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf, wo beschrieben ist, dass 1856 in der Nachfolge Felix Mendelssohn Bartholdys der 21-jährige Felix Otto Dessoff, Absolvent des Leipziger Konservatoriums, Freund und Weggefährte von Johannes Brahms und Urgroßvater von Gerhard Albert Jahn, die Opernsparte des Düsseldorfer Stadttheaters übernahm. Die Recherchen des Urenkels bahnten den Kontakt zur Redaktion der Musikvereinszeitschrift NeueChorszene, die 2012 in ihrer Ausgabe Nr. 17 den Lebensweg des Komponisten und Dirigenten anhand der von Joachim Draheim und Gerhard Albert Jahn 2001 herausgegebenen Dessoff-Biografie nachzeichnete. Hier schon war nachzulesen, dass Otto Dessoff aus seiner Ehe mit Friederike Meisinger, die der junge Dirigent als Fünfzehnjährige in Düsseldorf kennengelernt und 1861 geheiratet hatte, drei Söhne und die Tochter Margarete hervorgingen. Auf sie, die musikalisch in die Fußstapfen ihres Vaters trat, und ihre frisch erschienene Biografie machte Herr Jahn die NC-Redaktion noch im vergangenen Jahr aufmerksam. Die Autorin Sabine Fröhlich beschreibt darin die Chordirigentin Margarete Dessoff „auf dem Weg in die Moderne“ als Leiterin und Gründerin verschiedener Chorvereine, so sind z. B. die „Dessoff Choirs“ in New York heute noch aktiv. (Die Redaktion stellte das Buch in der NC33 vor und den Preisrätsel-Lösern als Gewinn in Aussicht.)

Ein weiteres Forschungs- und Betätigungsfeld des Verstorbenen war die „Entdeckung der Nachhaltigkeit“, die auf den 1645 auf Burg Rabenstein bei Chemnitz geborenen Hans Carl von Carlowitz, Verfasser des ersten geschlossenen Werks über die Forstwirtschaft und wesentlicher Schöpfer des forstlichen Nachhaltigkeitsbegriffs, zurückgeht. Gerhard Albert Jahn gehörte 2011 zu den Gründungsmitgliedern der Chemnitzer Carlowitz-Gesellschaft, die sich das Bewahren, Erschließen und die Nutzung sowie die Weitergabe des Carlowitz’schen Erbes zum Ziel ihres bürgerschaftlichen Engagements setzte.

Im Nachruf auf den Verstorbenen dankt ihm der Vorstand der Gesellschaft „für seine stets wertvolle Unterstützung und die wegweisenden Beiträge für das Fundament der Carlowitz-Gesellschaft und die leidenschaftliche Verbreitung des Carlowitz’schen Leitbildes. Sein Rat und sein Humor werden uns sehr fehlen.“ Jahrelang hatte der Hobby-Zauberer und Mitglied des Magischen Zirkels Deutschland die Mitgliederversammlungen der Gesellschaft mit seinen Zaubertricks bereichert. Auch Chormitgliedern aus Düsseldorf hat Gerhard Albert Jahn bei abendlichen Treffen im Ratskeller von Chemnitz kleine Kostproben seines Talents gegeben.

 

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Gerhard Albert Jahn und Gerlinde Schilling 2017 beim Empfang nach dem Konzert in der Oper Chemnitz    

 Foto: Georg Lauer (Musikverein Düsseldorf)

 

Der Chemnitzer Musikverein, 1837 - wie der Düsseldorfer mit ähnlichem Programm und Anspruch - gegründete bürgerliche Kulturverein musste seine Aktivitäten in den Wirren der NS- und Nachkriegszeiten einstellen. Erst 1991 konnte der damalige Chemnitzer Generalmusikdirektor Dieter-Gerhard Worm die Wiederbelebung des Musikvereins initiieren. Die seinerzeitige Leiterin der Städtischen Musikbibliothek Gerlinde Schilling wurde Neugründungs- und Vorstandsmitglied und 2014 zur Vorsitzenden gewählt. Ihre engen Beziehungen zur Robert-Schumann-Philharmonie, zur Städtischen Musikschule Chemnitz, zu Kammermusikensembles und Kulturstätten waren stets Garant für anspruchsvolle Konzertveranstaltungen und Vortragsabende, zu denen sie Musikwissenschaftler und Künstler wie Werner Kaden, Michael Maul oder Peter Schreier einlud. Zu den monatlichen Veranstaltungen des „Musikclubs“ in der Chemnitzer Stadtbibliothek war 2017 auch der Städtische Musikverein - über seine 200jährige Vereinsgeschichte referierend - in die Düsseldorfer Partnerstadt eingeladen. Es nimmt nicht Wunder, dass die Konzerteinladungen, zu denen der Chor des Düsseldorfer Musikvereins 2016 und 2017 nach Chemnitz reiste und jeweils am Tag der Deutschen Einheit Beethovens 9. Sinfonie mit aufführte, von Vorstand und Mitgliedern des Chemnitzer Musikvereins begleitet wurden.

 

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Gerhard Albert Jahn und Evelyn Kluge 2017 in der Stadtbibliothek  

 Foto Georg Lauer (Musikverein Düsseldorf)

 

Das zunächst naheliegende Bemühen, die beiden Vereine in eine eigene, kooperierende Partnerschaft mit kulturellem Austausch zu bringen, konnte wegen der unterschiedlichen Vereinsziele – hier an Konzerten direkt beteiligter Chor, dort Veranstalter kultureller Begegnungen – nicht Gestalt annehmen.

Dennoch bleiben die Vereine einander freundschaftlich verbunden, dies um so mehr, als sich in Chemnitz nach der ersten Ereignis-Schockstarre hoffnungsvolle Perspektiven zu entwickeln scheinen: Die frühere Leiterin der Chemnitzer Musikbibliothek Evelyn Kluge und die Direktorin der Städtischen Musikschule Nancy Gibson, die aus Kanada kam und lange Jahre als dramatische Sopranistin am hiesigen Stadttheater engagiert war, haben signalisiert, sich über ihre derzeitigen Aufgaben im Vorstand und künstlerischen Beirat hinaus der Aufgaben anzunehmen, die die beiden Verstorbenen mit so großem Eifer zum Erfolg führten.

Gerade in diesen derzeit pandemiegetrübten Tagen drücken wir in Düsseldorf die Daumen, dass schon bald wieder kulturelle Ereignisse und Begegnungen im Austausch stattfinden können, wir würden dazu gerne - auch schon vor dem Start in das Kultur-Hauptstadt-Jahr 2025 - unseren Beitrag leisten.

Städtischer Musikverein zu Düsseldorf, 18.02 2021